Der 14. Juli ist in Frankreich ein nationaler Feiertag. Der 14. Juli an der Ahr wird für immer ein unvergessener Trauertag sein.
Am 14. Juli 2022 war hoher und höchster Besuch zu einer Gedenkveranstaltung im Kurpark von Bad Neuenahr angesagt. Bundeskanzler Olaf Scholz und Malu Dreyer kamen, um mit den vielen Betroffenen im Ahrtal gemeinsam Anteil zu nehmen und der durch die Flut Verstorbenen zu gedenken. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier hat sich in Altenahr, wo die Ahr den Ort über weite Strecken zerstört hat, selbst ein Bild gemacht von den Folgen der Flutkatastrophe und hat dort mit den Menschen gesprochen.
Es ist die größte Naturkatastrophe, die in der Bundesrepublik jemals stattgefunden hat. Diese Katastrophe wird jetzt auch in Beziehung gesetzt zur Klima-Veränderung und zu den Notwendigkeiten einer an die Natur angepassten Lebensweise. Es gab Warnhinweise von Experten und es wurden – abgesehen von den heldenhaften Feuerwehrleuten, die bei Rettungsmaßnahmen auch einige aus ihren eigenen Reihen in den Fluten verloren haben – keinerlei Katastrophenschutz- und Rettungsmaßnahmen ergriffen. Keine Warnhinweise, Evakuierungen, Signale, kein Kirchenglocken-Läuten. Frühe Warnungen, die möglich und notwendig gewesen wären, da die Flut am Oberlauf der Ahr schon am helllichten Nachmittag unterwegs war, blieben aus. Von oben nach unten – von den Verantwortlichen gab es für die meisten Menschen keine Information.
Besonders bemerkenswert war, dass auch der geschätzte Landesrundfunk SWR, den wir bis zum Stromausfall um Mitternacht eingeschaltet hatten, um Informationen und Empfehlungen zum Verhalten in der Katastrophe zu bekommen, keinerlei Hinweise zur Flut gab. Sonst sind Untertitel in Sendungen hilfreich und üblich. Hier hat sich aber wohl niemand getraut im Sender, ohne höhere (nicht erreichbare oder nicht informierte) Landesspitze zu warnen und zu berichten. Gerüchten zufolge soll ein Meteorologe, der bei einer SWR-Wettervorhersage Warnhinweise gegeben hat, dazu angehalten worden sein, diese nicht zu wiederholen.
Ahnungslos durch die Nacht …!
Nun ist also ein Jahr nach der Flut vergangen. Die Menschen trauern und bauen auf, die Toten sind begraben.
Viele Menschen, die noch kein bewohnbares Domizil haben und ihre frühere Wohnung wieder aufbauen wollen, haben vielfach immer noch Probleme, die vom Bund eingerichteten Hilfen (insgesamt für die Schäden aller Art rund 15 Mrd. €) für den Wiederaufbau zu erhalten. Es gibt zwar Beratungshilfen, aber die bürokratischen Hürden sind hoch und die Auszahlungen kommen, wenn überhaupt, vielfach sehr spät. Es soll dem Vernehmen nach aber nun immerhin eine Änderung dahingehend geben, dass die Erstzahlung nicht auf 20.000 € beschränkt wird. Mit diesem Betrag kann man weder aufbauen noch einen Kredit bekommen.
Im Kurpark in Bad Neuenahr am 15. Juli 2022 sind alle Bürger und Bürgerinnen, Helfer und Helferinnen eingeladen zu einem gemeinsamen Nachmittag mit Programm für Groß und Klein. Nach 17:00 Uhr stellen sich alle auf zu einer Menschenkette an der Ahr – über die kleine Behelfsbrücke für Fußgänger, an der nördlichen Ahr bis zur Amseltalbrücke.
Jeder sucht sich einen Platz bei der Aufstellung in der Menschenkette, sogar der Hund kann dabei sein.
Ein – mit den zur Aufstellung gehenden Menschen – mitgehender Posaunenchor (Video siehe am Schluss des Beitrags) musiziert feierlich für die Anwesenden. Auch Musik kann den trauernden Menschen etwas helfen bei eigentlich unerträglichen Erinnerungen.
Und die Gemeinschaft hilft: Bei einer Trauerminute halten alle inne und halten sich an den Händen.
Nach der Trauer-Zeremonie gehen die Menschen auch in den nahen Kurpark. Der Anblick auf das gegenüberliegende Ufer ist ebenso eindrucksvoll wie überraschend: so schön mit befestigten Ufern haben wir das seit einem Jahr nicht mehr gesehen. Allerdings haben einige Räumfahrzeuge an und in der Ahr tagelang daran gearbeitet. Auch die Büsche vor dem alten Thermalbadehaus sind gekappt, das Terrain sieht schon wieder fast normal aus. Der Ministerpräsidentin und ihrem Besuch sei Dank.
Gegenüber, u.a. im Café del Ahr, sind wieder viele Menschen zusammen, die sich zu einem Glas Wein oder einem Imbiss treffen. Man redet miteinander, man tauscht sich aus, man hilft sich. Die Gemeinschaft, die Nähe, die Geselligkeit sind die klassischen Merkmale der Menschen im Ahrtal. Keiner muss allein bleiben. Und das allein ist schon ein Grund, trotz allem im Ahrtal zu bleiben.
Ein Jahr nach der Flut, und so sieht es jetzt bei uns aus. Handwerker arbeiten bei uns (was für ein Glücksfall) jeden Werktag von morgens bis abends. Die Erdgeschosse müssen wieder komplett hergestellt werden. Letzter Stand war: Dämmung und Estrich auf den Böden im Eingang und den Parterrewohnungen.
Baumaßnahmen an allen Ecken und Enden. Hier waren bis vor einem Jahr wunderschöne Gärten angelegt worden. Jetzt sind hier nur noch die stärksten Wildpflanzen zuhause.
Hier war ein Metall-Türchen am Eingang zu einem liebevoll gestalteten und gepflegten Garten. Den gibt es nicht mehr. Der Bewohner ist auch weggezogen.
Hier ist der Rest eines Gartens, außer der Tür ist nicht viel geblieben. Das Mäuerchen ist in der Flutnacht gebrochen – kein Wunder, denn in diesem Garten haben sich meterhoch mehrere angeschwemmte Fahrzeuge aufgestapelt.
So sieht es vor dem Haus aus: ein strapazierter Baum, der jung gepflanzt war und doch schon der Flut standgehalten hat, kaputte Bordsteine und ein paar privat gepflanzte Bodendecker. Auch wenn es ein wenig wie auf einem kleinen Friedhof aussieht: wir freuen uns über die Idee und die Gestaltung, die Farbe der Blumen vor unserem Haus und dass wir überhaupt noch alle leben.
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