Katastrophenschutz gestern und heute
Man erinnert sich noch an die große KatWarn-Übung vor etwa einem Jahr, bei der die Katastrophen-Übung selbst als mittlere Katastrophe bezeichnet wurde: bei Warnungen und insbesondere bei der Koordinierung zeigten sich einige Mängel.
Und jetzt stellt sich die Frage: was ist seitdem erfolgreich zur Verbesserung des Katastrophenschutzes unternommen worden? Hat man den Bedarf ausreichend ernst genommen?
Ich erinnere mich: vor Jahrzehnten gab es Informationen zum Katastrophenschutz für die Bevölkerung und auch das Wissen in der Bevölkerung, was im Notfall zu tun war. Es gab Sirenen und man kannte deren Bedeutung: Warnung, Alarm, Schutz suchen, Entwarnung. Man wusste auch, dass man ein kleines Notfallpaket mit allen wichtigen Ausweisen, Dokumenten und Papieren sowie Medikamenten griffbereit haben sollte.
Drei Stunden bis zur Katastrophe
Im Ahrtal, wo Sirenen in der Vergangenheit auch schon abgebaut wurden, waren am 14. Juli 2021 um 20:00 Uhr in Ahrweiler noch keine Warnhinweise zu registrieren. Es war aber schon eine Zunahme der Wassermenge der Ahr im oberen Ahrtal festzustellen. Die Wetterprognosen deuteten darauf hin, dass sich eine außergewöhnliche Wetterlage mit Starkregen entwickelt. Drei Stunden Zeit für Warnung und Alarm standen da noch zur Verfügung. Es gab im mittleren und unteren Ahrtal aber keine Warnung. Nichts. Nicht einmal die Kirchenglocken.
Die Pegelstände waren auch nicht wie erforderlich in ihrer Entwicklung beobachtet bzw. kommuniziert worden. Ein Pegel war ausgefallen, und ein weiterer Pegel konnte die Höhe von etwa 9 m Flut in der Spitze auch gar nicht mehr erfassen.
Die Ahr ist nicht mehr zu stoppen
Kurz nach Mitternacht wurde dann Bad Neuenahr-Ahrweiler überflutet. Tiefgaragen, Keller, Untergeschoss-Wohnungen wurden von der Flut durchspült und nur das beherzte Eingreifen von Nachbarn rettete manche im Schlaf überraschten Bewohner vor dem Ertrinken.
Wir haben keine Informationen
Der Strom war ausgefallen, damit auch kein Fernsehbild mehr, keinerlei Warnung auch durch den regionalen Rundfunk. Wir hatten umgehend ein Transistor-Radio eingeschaltet, aber außer netter Nachtmusik kam kein Hinweis und keine Information zum Geschehen. Es war stockfinster.
Fazit: wir waren in der Katastrophennacht allein gelassen mit der Flut.
Vor unseren Augen versinken unsere Autos im Schlamm
Die Autobesitzer packte in der Nacht das blanke Entsetzen: Kaum ein Fahrzeug konnte aus dem steigenden Wasser noch gerettet werden. Das Wasser stieg so schnell, dass von eigener Fahrzeug-Bergung keine Rede mehr war. Hilflos sahen wir aus dem Fenster unseren Fahrzeugen beim Aufschwimmen und Abtauchen zu.
Einige Nachbarn hatten ihre Fahrzeuge wegen des Dauerregens auch schon auf höher gelegenen Straßen abgestellt. Die Straßen waren aber auch bald zugestellt.
Späte Warnung
Nur die Feuerwehr war mit einem Einsatzfahrzeug in der Nacht durch einige Straßen von Bad Neuenahr-Ahrweiler gefahren und richtete per Mikrofon leise – und von den meisten Anwohnern gar nicht verstanden – die Empfehlung an die Anwohner, sich von der Ahr weg zu begeben. Da war es auch schon zu spät. Nachts? Halb bekleidet? Im Dunkeln? Und welches Chaos wäre entstanden, wenn die Menschen wirklich zahlreich der Aufforderung nachgekommen wären und die Nacht fern ihrer überwiegend sicheren Häuser im Freien verbracht hätten?
Große Hilfe von nah und fern
Im Laufe des Folgetages kamen Hilfskonvois, Rettungshubschrauber, THW, Rotes Kreuz, Bundeswehr mit Einsatzkräften in großer Zahl, Feuerwehren aus dem ganzen Bundesgebiet, die unermüdlich bis zum Umfallen gearbeitet haben, um die Schäden zu beseitigen und die Anwohner mit dem Nötigsten – insbesondere Trinkwasser – zu versorgen.
Evakuierung am Abend des nächsten Tages
Am folgenden Tag gab es einen erstaunlichen Einsatz.
Laut einer Ansage von THW, Bundeswehr und Feuerwehr sollten alle Bewohner der Unterstraße aus ihren Wohnungen evakuiert werden. Nach Heimersheim, per LKW, mit den nötigsten persönlichen Sachen. Wir sollten uns am oberen Teilstück der Unterstraße versammeln.
Ein Feldwebel der Bundeswehr erläuterte die Lage: er hatte den Auftrag, die Unterstraße zu evakuieren. Bewohner der Mittelstraße würde er aber auch – wenn auch ohne Auftrag – mitnehmen. „Keiner muss zurückbleiben.“ Das war schon sehr freundlich. Tatsächlich war die Mittelstraße aber noch viel heftiger als die Unterstraße durch die Flut betroffen.
Die Transport-Aktion lief schleppend an: Rettungswagen und Räumfahrzeuge und auch schon das THW mit schwerem Gerät standen sich wechselseitig im Weg und mussten immer wieder zurück setzen, um aneinander noch vorbei zu kommen. Ein mühsames und zeitaufwändiges Rangieren.
Wir waren etwa 60 Personen, die mit einem einzigen Bundeswehr-Transportfahrzeug nach Heimersheim gebracht werden sollten. Also in mehreren Etappen. Es dauerte zwei Stunden, bis sich das Fahrzeug erstmalig – nach mühsamen Erklimmen der Ladefläche durch die zu evakuierenden, zum großen Teil älteren Personen – in Bewegung setzte. Sehr vorsichtig und langsam – wegen der Gefahr von nicht erkennbaren Gegenständen im Wasser und wegen des Transports ohne Bänke und weitere Sicherung im Stehen.
Spät abends war dann die Aktion beendet und alle in einer Turnhalle in Heimersheim untergebracht. Dort waren keine Feldbetten für alle vorhanden, aber Stühle und Iso-Matten. Ziemlich anstrengend für ältere Menschen. Offenbar gab es in der Unterbringung nicht genug Ausstattung oder war jedenfalls nicht so schnell zu beschaffen.
Aber freundliche Helfer und Helferinnen erwarteten die strapazierten Evakuierten. Und es gab ein gutes warmes Essen, Trinkwasser und die Möglichkeit, die Handies etwas aufzuladen.
Was war der Grund der Evakuierung – zumal Heimersheim selbst gerade vor einigen Wochen noch von einer Schlammlawine heimgesucht worden war und nicht eindeutig sicherer als Neuenahr einzustufen war?
Es machte eine Behauptung die Runde, dass eine zweite Flutwelle drohe.
Das war erstaunlich: durch die Flut vom 14.7. waren schon zahlreiche Informationen zur Beurteilung des Flutgeschehens vorhanden. Die Region stand im Focus vieler Experten, die Analysen vornehmen und Einschätzungen abgeben konnten. Es erschien sehr unwahrscheinlich, dass sich in so kurzer Zeit erneut eine große Flutwelle der Ahr aufbauen werde.
Bald stellte sich heraus, dass es sich bei der angeblichen zweiten Flutwelle um eine Falschinformation handelte. Die überflüssigerweise evakuierten Nachbarn konnten dann (überwiegend) wohlbehalten nach zwei Tagen wieder zurück in ihre Wohnungen.
Was ist schiefgelaufen?
Die KATWARN, die vor der Flutwelle hätte warnen müssen, hat – ausgerechnet in der größten Not in der Region – versagt.
Die Zuständigkeiten und die Koordinierung sollten zwischen den beteiligten Verantwortlichen und Diensten geklärt sein und nicht erst vor Ort geordnet werden.
Die Menschen im Ahrtal muss man nicht „zur Arbeit, zum Räumen und zum Helfen tragen“. Das wird überall gemacht, jeder nach seinen Möglichkeiten, alle packen an. Die Menschen müssen aber wieder darauf vertrauen können, dass sie in der – von ihnen selbst nicht zu leistenden – Gefahrenbekämpfung zuverlässig unter dem Schutz der verantwortlichen Stellen stehen. Sonst wäre es wirklich zum Verzweifeln.
(Persönliche Anmerkung: Und wir möchten gerne in dieser schönen Region bleiben.)
Hochwasser und Fluten nehmen offensichtlich zu, so derzeit in vielen Orten und Regionen in Deutschland, ebenso z.B. in Italien. Wie mit diesen Veränderungen verständig umgegangen wird, ist von enormer ökologischer und ökonomischer Bedeutung. Das ist wohl keine „politische Eintagsfliege“, sondern eine dauerhafte Herausforderung. Es gibt viel zu tun.