Neuanfang mit Hindernissen

Die persönliche Schadensbilanz – alles nur materiell zum Glück – am 17.7.2021: u.a. haben wir kein Auto mehr. Unser Auto ist in der Flut untergegangen und hat sich nach dem Rückgang des Wassers als fahruntauglich erwiesen.

Ein freundlicher Bonner Freiwilliger hat uns in Neuenahr abgeholt und nach  Godesberg gebracht, wo wir für einige Tage bei der Verwandtschaft unterkommen konnten. Wir sind auch gleich zu einem Autoverleih-Unternehmen gegangen. Dort waren wir nicht die einzigen, die ein Fahrzeug brauchten. Aber für die Folgewoche wurde uns ein Auto reserviert. Auch wieder ein großes Glück, denn die Nachfrage ist riesig. In der Folgewoche sind wir mit dem Leihwagen zum Baumarkt gefahren, um uns für die nächsten Wochen auszustatten. Wir werden ja weiterhin keinen Strom haben. Aber: kein Campingkocher, kein Camping-Geschirr, keine Camping-Lampe, und bei den Arbeitshandschuhen gab es nur noch ein paar Übergrößen.

Und so wechseln sich weiter Glück und Unglück ab: Am 20.7. erhalten wir eine mail von der Hausverwaltung zum Stand der Dinge: allein die Aufnahme der konkreten Schäden und die Ermittlung des Reparaturbedarfs in unserer Wohnanlage von rund 50 Wohnungen wird länger dauern, die Reparaturen vom Estrich angefangen werden noch Wochen und Monate dauern. An die Räumung unserer Keller können wir noch gar nicht denken. Wir sollen ausweichen, z.B. ins Hotel, bis zur Wiederbewohnbarkeit unserer Wohnungen. Zum Glück gibt es für die Wohnanlage eine Elementarschadenversicherung.

Wir müssen uns nun auch noch um einen Leasing-Wagen kümmern, weil der Mietwagen auf so lange Dauer zu teuer wird. Am 21.7. fahren wir zu einem Händler in Bonn-Beuel, den wir in guter Erinnerung haben. Wir haben Glück – es gibt zwar deutlich weniger Fahrzeuge als Nachfrage, bedingt  durch das Fehlen von Einzelteilen im Rahmen der Lieferkette, aber wir können in einigen Wochen ein Leasing-Fahrzeug übernehmen. Unser altes Fahrzeug ist der Versicherung schon gemeldet worden und irgendwann von einer Ahrtaler Firma abgeschleppt worden. Wohin wissen wir nicht genau, wir werden es wohl nie wiedersehen.

Am 22.7. telefonieren wir den ganzen Tag auf der Suche nach einem Hotel oder ähnlichem für mehrere Wochen: wir telefonieren mit Hotels in Remagen, Sinzig, Unkel, Bad Breisig und viele mehr; überall sind Hochwassergeschädigte in Hotels untergebracht worden. Am Ende – Glück im Unglück – kommen wir in einem Hotel in Bonn an der Adenauerallee unter, wo es alles gibt, was man braucht: Schlafzimmer, großer Fernseher (Olympische Spiele!), eine Kitchenette, großes Bad (endlich sauberes Wasser), ein Sofa, ein Schreibtisch, wlan, Zeitung im e-Format. Wir fühlen uns wie wiedergeboren.

Soweit ist nun alles geregelt. Wir fahren am 25.7. noch mal für einen Tag und eine Nacht nach Bad Neuenahr, um Kühlschrank und Tiefkühltruhe zu räumen und uns mit allem auszustatten, was wir in mindestens 2 Monaten brauchen werden: jede Menge Wäsche und Kleidung, drei Säcke Schmutzwäsche, die von mir schon vor 10 Tagen gewaschen werden sollte und vom Hochwasser „gecancelled“ wurde, nun für die Wäscherei und unsere ganze technische Ausstattung mit Tablet und Laptop usw.

In Neuenahr sieht man deutlich, dass in der Zwischenzeit mit zahlreichen  Kräften und großem Einsatz schon viel geschaffen wurde: auf der Unterstraße z.B. ist der Schlamm weggeräumt und nur noch die Straße schmutzig, nahezu alle Fahrzeuge sind abgeschleppt worden, Unmengen von Schutt aus Wohnungen und Keller sind geräumt. In der Mittelstraße, in der die Ahr besonders wild getobt hatte, steht noch viel Arbeit an, weiterhin Schutt abräumen und die Häuser sichern und z.T. nach einem Einsturz ganz räumen.

In unserem – inzwischen fast leeren – Haus treffen wir noch Nachbarn, die uns eine traurige Nachricht überbringen: in unseren Straßen sind sechzehn Menschen durch die Flut verstorben. Es ist ein entsetzlicher Alptraum. Und die Suche nach Vermissten geht immer noch weiter.

In Neuenahr gibt es noch eine funktionierende Brücke: die St.Pius-Brücke über die Ahr. Auf der nördlichen Seite der Ahr erreicht man daher auch den Ausgabestandort der Notausgabestelle der Post. Dort kann man seine Post abholen, bis es wieder eine Zustellung in Hausbriefkästen gibt. Die gab es bei uns seit dem 14.7. nicht mehr, und es sieht nicht danach aus, dass es diese in den nächsten Wochen wieder geben wird.

Es wird also alles was möglich und was nötig ist, getan, um den Menschen in Neuenahr zu helfen, so wie in vielen anderen Orten an der Ahr auch.

Wir haben einen Leihwagen und können nach Neuenahr fahren und nach unserer Wohnung schauen.
Sehr viel ist in den letzten Tagen schon geschafft worden. Die Erdgeschoss-Wohnung im Haus gegenüber z.B. ist komplett ausgeräumt worden. Alles was einmal drin war, ist jetzt Schutt.
Unser Aufzug ist offensichtlich nicht mehr brauchbar, die Treppe in den Keller ist komplett verdreckt und steckt unten noch im Schlamm.
In der Mittelstraße sieht es noch schlimm aus – Schutt an den Seiten und ruinierte Fahrzeuge.
Schwer hat es auch unseren (Lieblings-)Bäcker getroffen: die frisch und aufwendig gerade renovierte und eingerichtete Bäckerei ist von Schutt umrahmt und steht wieder vor einem Neuanfang.
Vor der Therme ist die Feuerwehr im Einsatz und versucht, das verseuchte Wasser abzupumpen. Schwer ist es auch hier, das Wasser gefahrlos  loszuwerden.
Das Schwimmbad am Steigenberger Hotel ist erst vor wenigen Wochen fertig geworden und eröffnet. Nun ist der Betrieb durch die Folgen der Flut  blockiert.
Erst vor einem knappen Jahr – in der Nacht zum 22. September 2020 – war ein Feuer zwischen dem Steigenberger Hotel und dem historischen Thermal-Badehaus ausgebrochen und musste mit viel Aufwand beseitigt werden. Die Schäden sind noch nicht ganz beseitigt, und nun ist die nächste Katastrophe eingetreten.
Rettungsfahrzeuge aus ganz Deutschland kommen der Ahr-Region zu Hilfe. Feuerwehrfahrzeuge kommen sogar aus Schleswig-Holstein zur Unterstützung. In langer Reihe warten sie auf ihren Einsatz, ohne Pause laufen die Hilfsaktionen zur Rettung und Versorgung von Menschen. Immer wieder geht der besorgte Blick aber auch auf die dunklen Wolken.
Ich gehe am Kurhaus und Kurpark vorbei und sehe, was die Ahr davon übrig gelassen hat.
Der Blick auf die Ahr zur neuen Teichbrücke hin zeigt eine Lücke auf: die ehemalige Maria-Hilf-Brücke, die bis vor kurzem hier die Ahr überspannt hat, ist verschwunden.
Die Suche nach der Maria-Hilf-Brücke zeigt an der südlichen Ahr-Allee, dass die Brücke in Teile zerrissen am Ufer liegt.
Teile der Maria-Hilf-Brücke liegen im Kurpark zwischen Gestein und Schutt.
An der Landskroner Straße laufen – wie überall – Aufräumarbeiten und Schadensfeststellungen. Ein Arbeiter untersucht die Schienen und das Gleisbett der – nicht mehr fahrenden – Ahrtalbahn.
Das ist jetzt unser aktueller Arbeitsplatz, nachdem wir ins Hotel umgezogen sind.