Alptraum im Ahrtal

Am 14./15. Juli 2021 suchte eine Hochwasserkatastrophe das Ahrtal mit einer Flutwelle von bisher unbekanntem Ausmaß heim.

Es hatte wochenlang – mit wenigen Unterbrechungen und kaum Sonnenschein –  geregnet. Schon am 4. Juli zogen Regenmassen in dichten Wirbeln und Wolken bis auf die Erde über die Berge an der mittleren Ahr. In Heimersheim strömte eine Regen-Schlamm-Lawine hinunter in die Ortschaft. Die Feuerwehr und Helfer waren bis zum nächsten Tag mit der Räumung beschäftigt. Auch in Bad Neuenahr stand das Wasser in einigen Straßen knöchelhoch, so vor dem neu gestalteten Bahnhofsvorplatz. Es entstand kein größerer Schaden. Im Ahrtal hilft man sich und packt gemeinsam an. Die Folgen des Starkregens waren auch noch überschaubar und der Schaden recht schnell beseitigt.

Der 14. Juli 2021 aber wird allen Menschen im Ahrtal immer im Gedächtnis bleiben.

Es gab keine Vorwarnung an diesem Tag

Wir waren am Ahrtor in Ahrweiler, um die Neugestaltung des Ahrtors, die für Besucher eine neue weitere Attraktion in der Stadt werden soll, in Augenschein zu nehmen. Wir hörten dabei auch viel von der Heimatverbundenheit der Ahrweiler, die ihre im 2. Weltkrieg zu einem großen Teil zerstörte Stadt wieder ganz aufgebaut hatten. Welche Zerstörung Ahrweiler gerade bevorstand, war noch nicht zu erkennen.

Als wir von Bad Neuenahr Richtung Ahrweiler losgefahren waren, hatte es geregnet. Das war nichts Neues. Verblüfft waren wir, als wir am City-Parkhaus an der Felix-Rütten-Straße vorbeifuhren und sahen, dass das Parkhaus komplett geschlossen worden war. In Ahrweiler trafen wir uns dann um 18:50 Uhr bei anhaltendem Nieselregen.  Ungemütlich und nass, mit Feuchtigkeit auch ganz oben im Ahrtor, aber alles im Rahmen.

Kurz vor 20:00 Uhr haben wir uns auf den Weg gemacht zurück von Ahrweiler nach Neuenahr. Beim Überqueren der Ahrbrücke wurde es unheimlich: die Ahr war kräftig gestiegen und hatte sich in einen breiten braunen Strom verwandelt, in dem ein Baumstamm und Uferbewuchs mitschwammen. Wir konnten die Brücke, die noch trocken war, problemlos befahren. Das Wasser der Ahr hatte noch rund einen Meter Abstand zur Höhe der Brücke. Also schon wieder Hochwasser.

Vor fünf Jahren,  als unsere Wohnung in Neuenahr gebaut wurde, gab es schon einmal ein „Jahrhunderthochwasser“ – sehr hohes wildes Wasser, aber noch beherrschbar. Wir konnten mit vielen anderen Einwohnern auf der Casino-Brücke stehen und den Lauf der rauschenden Fluten in Ruhe beobachten. Die Ahr riss im Jahr 2016 auch schon Bäume in der wilden Flut mit. Die Casino-Brücke hielt – das Wasser stand zwar hoch, aber bis zum Scheitel der Brücke war noch ein halber Meter Luft. Es gab auch Evakuierungen im höheren Verlauf der Ahr, u.a. mit Hubschraubern, die Camper vom Dach ihres Camping-Wagens retteten.

An diesem 14. Juli 2021 ist die Lage vollständig eskaliert

Dieses Ahr-Hochwasser ist ein Alptraum für die Region. Es heißt jetzt auch wieder „Jahrhunderthochwasser“, aber wohl keiner will sich darauf verlassen, dass jetzt 100 Jahre Ruhe sind.

Am 14. Juli 2021 erreichten wir die Unterstraße in Neuenahr, in der wir wohnen, um 20:30 Uhr. Hier war noch nichts Besonderes zu bemerken, keine Sirene, kein Alarm, keine Warnung. So haben wir noch rund eine Stunde geskypt. Die Nachbarn aus unserem Haus, die ihre Fahrzeuge in der Tiefgarage geparkt hatten, verabredeten sich nach und nach, angesichts des Dauerregens ihre Fahrzeuge vorsichtshalber auf den Hof zu fahren – was auch gelang, bis auf die nicht mehr fahrbereiten Oldtimer in der Tiefgarage. Unser Fahrzeug stand am Straßenrand, so weit, so gut.

Wir schauten dann noch ab 23:00 Uhr das Fernseh-Talk-Format von Markus Lanz. Eine Textzeile mit einem Warnhinweis z.B. wurde bei der Sendung nicht eingeblendet. In der Stadt heulten auch keine Sirenen. Eine halbe Stunde später fiel dann der Strom aus (Stromausfall ist in Neuenahr angesichts zahlreicher Baustellen auch immer wieder mal gegeben,  also kein Grund zur Aufregung). Das Wasser fiel dann auch aus, Festnetz und Internet waren weg. Also tun was bleibt und erst einmal etwas schlafen, auf dem Sofa, mit „einem Ohr auf Empfang“.

Nach Mitternacht wurde der Regen immer stärker, er rauschte und prasselte immer lauter, am Ende klang der Regen wie ein entfesselter Gebirgsbach. Die Geräusche waren traumatisch. Wir tasteten nach einer Taschenlampe und der Leuchte „Little Sun“ von Olafur Eliasson, die der Künstler für den schwarzen Kontinent entwickelt hat und die auch in der Not an der Ahr hilft. Ich ging raus auf den Balkon, fast alle Wohnungen waren noch dunkel, nur die Nachbarn direkt gegenüber standen schon auf ihrem Balkon mit Taschenlampen und leuchteten auf das steigende Wasser im Hof, am Ende des Hofs rauschte das Regenwasser lautstark in die Tiefe.

Mein Mann erkannte die Situation auf dem Hof und überall in unserer Straße sofort: wir haben Besuch von der Ahr bekommen. Nach und nach gingen in den Häusern die Taschenlampen an, die Nachbarn in den Erdgeschossen räumten blitzartig ihre Wohnungen und kamen in höher gelegenen Wohnungen der Anlage in „Obdachlosenaufnahme“ durch die Nachbarn. Die Nachbarn in den Erdgeschossen haben in dieser Nacht alles verloren, nichts konnte aus den Schlamm-Massen noch geborgen werden. Wir schauten mit den Nachbarn fassungslos auf die Unterstraße, in der das Wasser immer höher stieg, in Keller eindrang und bald die geparkten Fahrzeuge in Bewegung setzte. Wir sahen unser Auto noch sehr lange sinken, bis nach und nach alle Lichter ausgingen und das Fahrzeug bis über die Reling im Wasser versank. Fahrzeuge „schwammen“ aus allen Richtungen und in alle Richtungen, sie verkeilten und stapelten sich. Es war absolut gespenstisch. Ein Fahrzeug wurde mit der Unterseite nach oben in unsere Tiefgarageneinfahrt gesogen.  Die Tiefgaragenausfahrt war auch schon von mehreren ineinander verkeilten Autos verstopft worden. Das Wasser stieg und stieg in der Tiefgarage – einer der Nachbarn wollte trotzdem und entgegen dem lauten Widerspruch der anderen Nachbarn nach seinem Auto in der Tiefgarage sehen. Wenig später hätte er die rettende Tür zum Ausgang nicht mehr öffnen können. Er hat es aber noch geschafft, sich in Sicherheit zu bringen. In unserem Haus sind nun glücklicherweise keine Todesfälle zu beklagen.

In der Mittelstraße, die unsere Unterstraße kreuzt, war die Lage noch viel heftiger und es waren Todesopfer zu beklagen.

Die Ahr raste dort mit zunehmender Geschwindigkeit, nie gesehener Stärke und Menge durch die Straße wie ein riesengroßes nasses Geschoss. In kürzester Zeit  drückte der Fluss Fensterscheiben in Parterre- und Hochparterre-Wohnungen ein und riss Mobiliar und anderes aus den offenen Wohnungen mit. Die Untergeschosse sind zum großen Teil verwüstet. Der Tod einiger Menschen in unserer Nähe ist so grausam, dass die Verwüstungen und materiellen Verluste kaum noch eine Rolle spielen.

In der Schreckensnacht und auch danach haben sich die Bewohner eingesetzt mit allen ihren Möglichkeiten, um anderen Menschen zu helfen. Die Hilfe und Solidarität seit dieser Nacht und in diesen Tagen weiterhin ist von allen Seiten so riesengroß, dass man es kaum glauben kann. Unermüdlich sind seit dem 15. Juli auch die Rettungsdienste, ehrenamtliche Feuerwehrleute, THW, Bundeswehr, Traktoren zur Räumhilfe und andere unendlich viele Freiwillige aus der Region und ganz Deutschland unterwegs in Neuenahr. So ist ein Traktorfahrer nachts aus Borken sofort nach Neuenahr gefahren, um beim Räumen zu helfen.

Den  Menschen fehlte es auch noch am nächsten Tag an Hinweisen und Informationen, wie man sich verhalten soll, wo man Hilfe bekommt, wo man selbst Hilfe anbieten kann. Wir hatten das Radio eingeschaltet und hörten SWR4, wo nach einiger Zeit erste Hinweise kamen, darunter auch die Empfehlung: „weitere Hinweise unter SWR4de.“  Das war wirklich nicht hilfreich.

Aus Bonn wurde über die Stadtverwaltung eine Hilfsaktion gestartet, bei der Freiwillige aus Bonn obdachlos gewordene Ahrtaler mit dem Auto aus dem Ahrtal herausholen und zu Bonner Familien bringen, die vom Hochwasser betroffene Familien bei sich aufnehmen. Wir haben, da wir unser Auto verloren hatten, die Hilfe angenommen und sind von einem freundlichen jungen Mann abgeholt worden, der einen langen Umweg wegen der vielen Sperrungen fahren musste.

Wie hoch war das Wasser? Kaum zu sagen: es gibt zwei Pegel an der Ahr, von  denen einer ausfiel. Der Pegel Bad Bodendorf stieg von 1,50 m in der Flutnacht auf über 5 m. Darüber hinaus lässt sich das nicht genau angeben, weil der Pegel bei 5 m aufhört.

Der Höchststand in Bodendorf war bisher 3,13 m  im Jahr 2016.

Die Folgen des Hochwassers sind riesig und noch nicht zu überschauen. Die Region braucht dringend Hilfe. Viele Menschen haben alles verloren.

Das Kfz-Kennzeichen AW trifft nun unsere prekäre Lage: „Arme Winzer“.

Wer helfen möchte:

Spendenkonto der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler:

Stichwort „Hochwasser“

Kreissparkasse Ahrweiler: DE 42 5775 1310 0000 3394 73

 

14. Juli 2021 – ein regennasser Tag zwar, aber noch alles „im Lot“ beim Besuch des neugestalteten Ahrtors in Ahrweiler
kurz nach Mitternacht: Starkregen, der sich zu einer Flutwelle auswächst. Die Nachbarn schauen wie versteinert im Licht einer Taschenlampfe auf das steigende Wasser in ihrem Garten und auf dem Hof.
Der nächste Tag bringt das Desaster ans Tageslicht: die unteren Wohnungen, deren Bewohner in der Nacht noch bei Nachbarn in oberen Etagen aufgenommen wurden, können ihre Wohnungen nicht wieder aufsuchen: das Schlammwasser hat bis 20 cm unter der Zimmerdecke hoch gestanden. Das Inventar ist weitgehend  verwüstet – sofern überhaupt noch vorhanden.
Absturz eines Fahrzeugs „kopfüber“ in unsere Tiefgaragenausfahrt.
Das Wasser sinkt, viel Schlamm bleibt, für ältere Menschen kaum noch begehbar.
Gartenhaus, Garten, zwei vom Wasser hochgehobene bzw. „aufgebockte“ Fahrzeuge, Schutt und Schlamm auf dem ganzen Gelände.
Unvorstellbare Verwüstung an der Kreuzung Mittelstraße/Unterstraße: ein Fahrzeug ist in eine Baugrube gestürzt, Pflastersteine und Baumaterialien türmen sich vor unserem Eck-Kreuz, dahinter von der Flutwelle zusammengeschobene Fahrzeuge.
Die Helfer und Helferinnen sind schnell vor Ort und räumen Trümmerteile.
Die Feuerwehr rückt kurzfristig mit großem Gerät an; an der Unterstraße wird schnell (in einem Tag und einer Nacht) der Keller ausgepumpt.
Wir wollten schauen, ob es noch eine mögliche Unterkunft im Steigenberger Hotel gibt.
An der Ecke Unterstraße/Felix-Rütten-Straße erwarten uns die Folgen der Flut: ineinander geschobene Fahrzeuge. Der Blick ins City-Parkhaus zeigt im Erdgeschoss und zum Teil noch darüber massive Wasserschäden. Einzelne Autos müssen eventuell aufgeschnitten werden, um sie räumen zu können.
Der Anblick wird immer schlimmer: einsturzgefährdete Häuser in der Nähe der Therme. Die Therme hat die Flut wohl einigermaßen gut überstanden – mit jetzt allerdings kontaminiertem Wasser, die Sauna hat es allerdings zerlegt.
Auch hier ein nicht mehr bewohnbares Haus; die Flutschäden gehen bis tief in den Untergrund.
Reste einer ehemals schönen Villa in der Felix-Rütten-Straße
Unsere Hoffnung auf eine Unterkunft im Steigenberger Hotel hat sich nicht erfüllt: das Hotel Steigenberger ist selbst in Not, mit ramponierter Parterre und umgeben von Schutt und beschädigten Fahrzeugen.
Zumindest begehbar sind noch die Asphaltplatten-Stücke zwischen dem Hotel Steigenberger und der ehemaligen Kurgartenbrücke, die gerade für die Landesgartenschau 2023 verschönert und ertüchtigt werden sollte. Die Brücke ist schlicht und einfach von der Ahr fortgeschwemmt worden. Die Ruine der Brücke liegt ca. 20 m flussabwärts.
Hier konnte man in Bad Neuenahr die Ahr überqueren – auf der Landgrafenbrücke, die nun geborsten über der Ahr liegt und von THW-Mitarbeitern untersucht wird.

Nun sind die Neuenahrer auf der nördlichen Flussseite von der südlichen Flussseite getrennt, und umgekehrt. Man kommt hier nicht mehr über die Ahr. Auch andere Ahrbrücken sind fast alle zerstört. Es ist eine Behelfsbrücke z.B. in Rech  durch die Bundeswehr in Arbeit, die St.Pius-Brücke soll möglichst nur von Einsatzfahrzeugen genutzt werden.